Samos 11 / I am so happy to see you again.

Samos, die wundervolle Insel. Das klare Wasser, die verwinkelten Gassen, die freundlichen Cafés und die Menschen mit den größten Herzen. Froh bin ich, wieder hier zu sein. Und es bricht mein Herz, so viele Gesichter wiederzuerkennen. Gesichter, die kenntlich gealtert sind. Obwohl es nur ein halbes Jahr her ist, das ich hier war. Dauernd kommt jemand auf mich zu, mit dem breitesten Grinsen, dass man sich vorstellen kann. Schüttelt meine Hand, legt die Hand auf die Brust –

Welcome on Samos! I am so happy to see you again. – Ich frage, wie es geht. – Same, Same. Samos,Samos.

Niemand möchte über die letzten Monate sprechen, der Winter ist langsam vorüber, die Menschen erholen sich noch von ihren Nasennebenhöhlenentzündungen und dem Husten. Viele sind seit Monaten nicht gesund. Es gibt einen neuen Supermarkt, von Geflüchteten eröffnet, um den Menschen eine günstigere Möglichkeit zum Einkaufen zu bieten. Und noch mehr, um nicht täglich an der Kasse im Supermarkt diskriminiert und beleidigt zu werden. Ein Freund von damals trifft mich auf der Straße und erzählt mir davon, dass er nun dort arbeitet. Ich möchte den Laden unbedingt sehen und wollte eh gerade einkaufen. Dann doch lieber dort! Es ist alles noch sehr sporadisch, die Fülle der Herzlichkeit macht das aber allemal wett. Wer braucht schon volle Regale und zehn Gemüsesorten, wenn das Herz sich voll anfühlt. Ich bin offensichtlich Fremdkörper, mein Einkauf wird schräg beäugt. Zwei Kamerunerinnen werden von dem palästinensischen Kassierer ziemlich ruppig abkassiert. Wir brauchen vielleicht alle noch ein bisschen uns daran zu gewöhnen, miteinander zu leben und das für normal zu empfinden. Wenn jetzt noch ein alleinerziehender griechischer Vater in den Laden kommt, gibt es schonmal einen ganz guten Gesellschaftsdurchschnitt denke ich mir. Erst gehen wir im gleichen Laden einkaufen und bald sind wir Kollegen und Kolleginnen. Bald. Bis dahin können wir ja neugierig sein, wie wir alle so einkaufen gehen.

Auch von den Kindern erkenne ich ein paar wieder. Ein Mädchen erkenne ich an ihren verfaulten Zähnen, dann kommen mir auch die Augen bekannt vor. Sie ist so groß geworden!

Auch von den Kindern erkenne ich ein paar wieder. Ein Mädchen erkenne ich an ihren verfaulten Zähnen, dann kommen mir auch die Augen bekannt vor. Sie ist so groß geworden! Ein anderes Mädchen, so groß wie meine Beinlänge, legt sich in Embryostellung in meinen Schoß und schläft beim Buchstaben ausmalen ein. Ihre Schwester guckt mütterlich zu ihr und streichelt meinen Arm. Beim wöchentlichen CampCleanUp in der dritten, neusten Erweiterung außerhalb des Camps, hinter den Bäumen, auf Expedition, um herauszufinden, wie weit sich die Müllberge erstrecken und wo besonders viele Essensreste sind, die Ratten und dadurch Schlangen anziehen, treffe ich zwischen selbstgebauten mit UNHCR Planen geschmückten Hütten, Frühblühern und Olivenbäumen Ajan aus Palästina. Eine selbstgestrickte Mütze bedeckt seine leicht grauen Haare, seine Klamotten sitzen leger und er strahlt nur Ruhe aus. Skeptisch und ein bisschen empört sagt er, dass er gleich alle aufweckt und sie die Müllberge selbst beseitigen. No problem. Er brauche nur Mülltüten, Handschuhe wären auch praktisch. Ich will ihm helfen, aber er lässt mich nicht. Ich bin noch so erstaunt von der Schönheit des Fleckchens, dass ich mich nur darauf konzentrieren kann und teile ihm mit, was für ein wundervolles kleines Minidorf sie sich doch dort zusammengebaut haben. Er fängt an zu lächeln und taut auf, zeigt mir die Kräuter, erzählt, dass er ab sechs Uhr morgens Tee trinkt und den Vögeln zuhört. Er wirkt wie ein alter, weiser Mann, dabei ist er höchstens 40 Jahre alt.

Die zwei kleinen Jungen, die mich beim Müll aufsammeln begleiten und ordentlich mit anpacken kommen dazu. Ajan holt einen Fußball für sie. Wir schauen uns an, die Kinder sollten nicht ihren Spaß und ihre Abwechslung am Müll im Camp aufsammeln finden, wo sie sich an Glas und Bierdosen schneiden können und allerlei Viech und Krankheit schlummert. Es kommt letztens öfter dazu, dass ich mit Menschen aus dem Camp darüber rede, wie die Erinnerung an die Kindheit der etlichen kleinen, sanften Wesen, beeinflusst werden kann. Was ist mit deren Zukunft? Ich habe meine Freunde alle im Camp auf Samos kennengelernt, während wir mit Pisse gefüllte Flaschen geleert haben? Für eine Perspektive braucht es auch gute Erinnerungen der Vergangenheit. Eine Kindheit, die sorgenlose, nur dem Spiel gewidmete, Momente beinhaltet.

Ajan lädt uns ein, an seine Feuerstelle. Er kocht dort schon Tee für uns. Wir sitzen auf seinen zwei Stühlen und schauen dem Tee auf dem gebastelten Rost zu, wie er langsam erhitzt wird. Wenig Worte sagen viel und Ajans Augen sprechen Bände. Kurz später holt er seine Tassen und bringt den fertigen, zuckersüßen Schwarztee aus eigener Mischung zu den Anderen. Dazu gibt es Zatar, das könnte er den ganzen Tag trinken. Wenn ich meine Tasche jetzt öffne, riecht der Zatarzweig, den er mir gegeben hat, immer noch intensiv. Ajan zuckt zusammen, er hat sich verzählt. Schnell schickt er seinen Freund, uns eine Tasse zu bringen und entschuldigt sich auf die angenehmst höfliche Art und Weise. Carl winkt nur ab, er möchte gar keinen Tee. In mir zieht sich alles zusammen. Wie kalt und blind sind wir doch. Am Ende trinkt er doch den Tee, in einem Schluck. Ajan bleibt cool, Europäer sind halt ein bisschen seltsam. Bevor ich losgeflogen bin, hatte ich leichte Tendenzen zur Panik, eher jedoch Angst, herzukommen. Angst davor, die Ungerechtigkeit zu sehen und nicht auszuhalten. Sie ist nicht zu begreifen und
nicht zu verändern. Auch nicht auszuhalten.

Wozu Menschen fähig sind, wie viel Herzlichkeit, Wärme, Bescheidenheit und Großzügigkeit von Jemandem kommen kann, der die andere Seite der Ungerechtigkeit erfährt als ich, ist größer als die Ungerechtigkeit selbst. Das hatte ich vergessen.

SamosVolunteers  *

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